Abschied nehmen von der Familie
So hatten wir uns das nicht vorgestellt – unseren Abschied hatten wir länger geplant – aber es lief anders als erwartet – irgendwie sehr anders.
Für den letzten Samstag vor unserer Abreise hatten wir eine kleines Essen mit Familie und den Lehrern geplant, am Sonntag wollten wir dann nochmal Eis essen mit der Familie und am Montag dann entspannt los. Wir hatten damit gerechnet, dass eigentlich alle auch irgendwie ein bisschen froh sein würden, die Belastung durch uns, sei es privat als Übernachtungsgäste oder beruflich in der Schule, irgendwann wieder loszuwerden.
Die emotionale Überforderung begann für uns mit Shria, die in der letzten Woche, als sie realisierte, dass wir wirklich packten, plötzlich total zusammenbrach.
Als wir sie trösten wollten, kam als Begründung „Seit meiner Kindheit, seit meiner Hochzeit hat sich nie jemand um mich geschert, nicht die Verwandten auch nicht mein Mann. Ihr ward in den fünf Monaten, die ihr hier ward, die ersten, denen ich wichtig war.“ Da war es mit uns auch geschehen – und die Tränen rollten auch bei uns – das wurde noch schlimmer als selbst Tatja und Mangal Tränen in die Augen bekamen. Es ist so bitter – für uns wird irgendwann das Leben weitergehen – für Shria wird das auf lange Zeit das Erlebnis sein an dem sie sich festhalten wird. Wir haben mit unserer Unbefangenheit letztendlich eine große Verantwortung übernommen, der wir hoffentlich gerecht werden können. Damit wir wenigstens den Abschied irgendwie überbrücken können, haben wir mit Hilfe eines Zuschusses von Sonnis Eltern für Shria noch ein einfaches Smartphone besorgt und Whatsapp eingerichtet und noch alles ausprobiert. Ich hoffe, dass wir es schaffen, auf die Entfernung weiterhin ein kleiner Lichtblick für sie zu sein.
Am Sonntag sind wir mit allen noch einmal nach Sangola gefahren, Shria hat sich in ihren tollsten Sari geschmissen, für alle gab es noch einmal Eis. In einem kleinen Laden wollte Shria dann, dass wir uns unbedingt ein Geschenk aussuchen sollen zum mitnehmen. Wir haben dann unter den vielen kitschigen Sachen einen kleinen Ganesh ausgesucht, den wir mit nach Deutschland nehmen werden.
Abends haben wir dann endlich unser Versprechen eingelöst und europäisch gekocht – Nudeln mit Tomatensauce. Die Gewürze hatten wir uns liefern lassen, da natürlich in Sangola kein Gewürzladen zu finden ist. Nudeln, Olivenöl und Oliven blieben jedoch zweimal im indischen Postnirvana liegen. Also haben wir die Nudeln selbst gemacht – dauerte zwar eine Weile, war aber lecker – alle Kinder aus der Nachbarschaft kamen nochmal vorbei und probierten – was soll ich sage: es schmeckte allen.
Shria fing dann auch nochmal das Kochen an, um uns Reiseproviant mitzugeben, haltbare Dal-Kekse, gerösteter Puffreis mit Chili, kleine frittierte Kekse – alles, damit wir nicht „verhungern“ unterwegs. Danach bekamen wir dann den Ganesh von ihr und sie von uns einen kleinen „Segen“-Stein, den Sonni aus Deutschland als Segen mitbekommen hatte – wir waren uns beide sicher, dass er ganau dorthin gehört und sie beschützen wird – noch einmal viele Tränen.
Das wurde am nächsten Morgen dann nicht besser – als dann sogar Ravi, der Mann von Shria, bei dem es in den letzten Wochen zu keiner ersichtlichen Gefühlsregung kam, die Tränen in den Augen standen, war dann das Maß voll. Es ging irgendwie nichts mehr – passend dazu setzte auch noch ein starker Monsoon-Regen ein, Prashant kam mit dem klapprigen Schulbus nicht bis zu Farm und wir liefen mit Gepäck bis zur Straße, Hand in Hand mit den Kids, die wir noch in der Schule ablieferten. Shria konnte ja nicht von der Farm weg und hat uns von dort lange hinterhergewunken. Tatja kam dann noch hinterhergerannt und brachte uns auch noch ein Stück, während Anna im Dorf auf uns wartete um uns zu verabschieden.
Wir sind jetzt erst einmal für zwei Tage nach Kolhapur gefahren, um wieder runterzukommen.
Da bekommt man schon feuchte Augen beim Lesen…