28 Jahre

Vergangenen Freitag kam Betty, unsere Haushaltshilfe, wie üblich gegen 9:00 Uhr zu uns. Wir hatten verabredet, dass sie für die Zeit, die wir nicht in Kicukiro wohnen würden, hier im Haus unserer Freunde sauber macht. Für die etwas weitere Anreise mit dem Moto-Taxi bekommt sie noch einmal extra Fahrgeld, obwohl sie auch mit einem Bus kommen könnte. Das würde jedoch bedeuten, dass sie stundenlang unterwegs ist, da die Busse zwar fahren, es jedoch keinen Fahrplan gibt und daher alle Passagiere bereitswillig warten. Egal, wie lange es dauert, irgendwann kommt schon ein Bus, den man zumindest für ein Stück nutzen kann. So kommen alle auf ihrer Strecke langsam voran. Den Stress wollten wir für Betty definitiv vermeiden.

An diesem Freitag arbeitet Thomas von zu Hause und als Betty ankam, war ich gerade auf dem Weg zum HNO-Arzt. Ich begrüßte sie daher nur kurz und wunderte mich darüber, dass sie in einem feuerwehr-roten engen Kleid „zur Arbeit“ kam. Allerdings ist das eigentlich auch gar nichts Ungewöhnliches. Bereits einige Male hatte ich sowohl bei Betty als auch bei Elisabeth beobachtet, dass sie in für mich unvorstellbar figurbetonten und teilweise hellen Outfits „unschöne“ Haushaltstätigkeiten ausführen. Ich würden mich dafür vermutlich umziehen und bequeme Arbeitssachen tragen. Na ja, andere Länder, andere Sitten.

Da ich beim HNO-Arzt bereits angemeldet war, wurde ich auch umgehend behandelt und verließ nach einer Ohrspülung und mit einer Rechnung von 40 EUR in nur 20 Minuten die Polyklinik. Entspannt schlenderte ich zu Fuß zurück. Vorher wollte ich nur noch schnell mein Handy wieder in Betriebsbereitschaft versetzen, ich hatte es in der Praxis ausgeschaltet.

Plötzlich zeigte mir Facebook an, dass Betty an diesem Freitag Geburtstag hatte. Mist! Und ich hatte beim Verlassen unseres Hauses noch auf ihr schönes Kleid hingewiesen und ihr dafür ein Kompliment gemacht. Wie peinlich ist das denn! Aber wo sollte ich jetzt auf die Schnelle und auf nur 10 Minuten Fußweg eine angemessene Geburtstagsüberraschung herbekommen? Ich rief Thomas an und bat ihn, herauszubekommen, ob das Datum stimmte. Manchmal geben Leute auf Facebook ja auch fingierte Daten an. Elisabeth würde es wissen. Die beiden Frauen sind seit Jahren befreundet und Betty hatte anfangs als ihre Haushaltshilfe auch mal einige Zeit bei ihr gewohnt.

Doch zu unserem Erstaunen wusste es auch Elisabeth nicht. Daher ging ich einen kurzen Umweg und noch bei der französischen Bäckerei „Baso“ vorbei. Dort holte ich drei kleine Törtchen (Schoko, Erdbeere und Apfel-Crumble), die wir gemeinsam bei Kaffee und Tee teilen konnten. Außerdem gab es dort auch noch selbst hergestellte Marmeladen. Davon nahm ich ein kleines Glas Erdbeerkonfitüre mit und war nun sehr zufrieden.

Zu Hause angekommen, stand Betty gerade schaumverschmiert und spülte das Geschirr. Ich sammle dafür immer ein paar Tage, damit dann auch etwas an Geschirr zusammenkommt und sie ihre Aufgabe hat. Viel zu tun ist ja in so einem Zweipersonenhaushalt nicht und richtig unordentlich sind Thomas und ich auch nicht (mehr).

Ein Teelicht war schnell aus einer Schublade genommen, angezündet und das französisch-winzige Erdbeertörtchen mit der -konfitüre auf einem Teller dekoriert. So überraschten wir nun endlich „Happy Birthday…“ singend Betty in der Küche. Sie drehte sich ganz erstaunt zu uns um, ihre Augen wurden immer größer, ihr Blick ging zum Fußboden und wir sahen, dass sie angestrengt Tränen zurückhalten musste. Betty war unendlich gerührt und brachte kein Wort heraus. Wir „entschuldigten“ uns, dass wir nicht eher reagiert und sie an ihrem Geburtstag überhaupt mit Moto-Taxi zu uns hatten kommen lassen. Wir würden gemeinsam Kuchen essen und dann sollte sie nach Hause fahren. Ungläubig schüttelte Betty nur immer wieder den Kopf und wir waren uns gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich heute Geburtstag hatte. Dann sagte sie aber, dass sie 28 Jahre alt geworden sei und noch nicht ein einziges Mal jemand ihren Geburtstag bedacht, geschweige denn gefeiert habe. Nun mussten wir schlucken und tief durchatmen.

Wir wussten, wie hart Betty täglich arbeitet. Sie studiert mehrere Tage die Woche an einem technischen Berufscollege und lern schweißen, Elektrik zu installieren u.v.a.m. Danach geht sie im Dreischichtsystem in einer Müllbeutel-Fabrik arbeiten und putzt zusätzlich zweimal die Woche 3-4 Stunden bei uns. Wobei letzteres eher auf ihrem, als auf unserem Wunsch beruht. Sie braucht einfach jeden Cent und ergreift daher jede Chance, zu arbeiten. Insgesamt verdient sie so 100 EUR im Monat und muss davon ihre Studiengebühren zusammensparen, Miete zahlen und leben. Wie das LEBEN dann ausschaut, kann man sich nur allzu lebhaft vorstellen. Trotzdem ist sie immer gut gelaunt, lustig, offen und vor allem unendlich fleißig. Daher machte es uns traurig zu erfahren, dass 28 Jahre niemand oder sagen wir sehr wenige an sie und ihren Geburtstag gedacht hatten.

Doch heute war ein besonderer Tag, nicht nur für Betty. Ich glaube, Thomas und ich freuten uns mindestens genau so sehr, wie sie. Wieder einmal waren wir gerürt, dass jemand sich so wahnsinnig über für uns so selbstverständliche nette Gesten und Aufmerksamkeiten freuen konnte. Thomas und ich hatten unsere drei kleinen Törtchenstücke schon längst aufgegessen und uns vermeintlich dabei schon Zeit gelassen, da knabberte Betty noch immer genüsslich daran und konnte den tollen Geschmack einfach nicht fassen. Ein herzerweichender Anblick. Und wieder einmal mehr waren und sind wir dankbar für die Liebe, Geborgenheit und Fürsorgen, die wir von Eltern, Geschwistern und Freunden all die Jahre bekommen haben. Das ist, wie wir hier erfahren, auf keinen Fall selbstverständlich!

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