Vertrauen

Trotz der unangenehmen Dinge, die wir in der Schule eingeführt haben wie z. B. das gehaltsrelevante Zeitmanagement für die Lehrer, die Vor- und Nachbereitungszeit von 1 Stunde pro Unterrichtstag im Anschluss an den Unterricht und nun auch noch die Schliessung der 6. bis 8. Klasse, bringen uns doch viele Lehrer Vertrauen entgegen. Sie sehen uns nicht als „Feinde“, die ihre Schule zerstören. Natürlich sind sie erstaunt über das Ausmass an Veränderungen und die Brisanz der finanziellen Situation, in der die NGO steckt. Jedoch haben sie Achtung und Vertrauen in unsere Entscheidungen, da sie Kompetenz und Transparenz erleben. So viele Informationen, so viel Mitbestimmung und so viel Struktur kennen sie bisher nicht. Auch in Diskussionen besteht trotz der ernsten Inhalte eine verhältnismässig offene Gesprächskultur. Sogar die Frauen sagen zunehmend stärker ihre Meinung, planen mit uns, bringen Lösungsvorschläge und sind aktiver als vor drei Monaten. Das ist eine für alle ganz positive Entwicklung.
Wir werden trotz allem zum Tee oder sogar zum Essen von einigen Lehrern eingeladen. Darüber freuen wir uns natürlich sehr.
Heute waren wir in Waki, einem Dorf 3 km von unserem entfernt, eingeladen. Dort lebt einer der Lehrer, Popat. Er ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat einen 10 Monate alten Sohn. Gemeinsam wohnt er mit ihnen und seinem Vater in einem winzigen Haus, bestehend aus einem Wohn- und Schlafraum (1 Bett für alle) und einer Küche. Insgesamt sind diese beiden Zimmer vielleicht 16 qm gross. Allein bewirtschaftet er die Farm von 4 bis 7 Uhr früh und danach ist der Marathi- und Hindi- Lehrer. Als Alleinverdiener hängt die gesamte Versorgung an ihm und er erzählte, dass er so manche Nacht nicht schlafen kann, weil er grübelt, wie er das alles schaffen soll.
Das Feld hat er für die nun anstehend Regenzeit gut vorbereitet. Er hat einen Wasserspeicher mit Pumpe gebaut und auf der gesamten Fläche für 600 Granatäpfelbäum Bewässerungsschläuchen verlegt. Das war eine richtige Investition. Nun fehlen im 10.000 Rupien, um die jungen Bäume zu kaufen und in die Erde zu bringen. Da die Schule 2,5 Monatsgehälter nicht zahlen konnte, fehlt ihm nun dieses Einkommen und alle Arbeit war umsonst!? Das ist die Frage, die er sich täglich stellt.
Wir haben bisher gedacht, unser Aufenthalt auf der Farm ist einfaches Landleben. Bei unserem Besuch heute haben wir jedoch festgestellt, dass es noch einfacher und ärmer zugehen kann.
Auf dem Hinweg nach Waki sind wir in einen mächtigen Monsunregen gekommen und mussten uns für ca 1 Stunde in einer fremden Bauernhütte am Strassenrand unterstellen. Dort hatte Popat auf uns gewartet, um gemeinsam weiterzufahren. Die Erde weicht so schnell auf, das in Sekundenschnelle alles schlammig ist, riesige Pfützen und sogar kleine Bäche entstehen und man nicht mehr laufen oder Motorrad fahren kann.
Die sprachliche Verständigung mit Popat ist nur sehr eingeschränkt möglich, daher waren wir sehr erstaunt, als er einen kleinen Fotobildband aus seiner Tasche zog und uns die abgebildeten Orte erklärte. Es war herzerweichend zu sehen und zu hören, wie gern er selbst reisen würde. So verging die Wartezeit recht schnell und kurzweilig.

Als der Regen aufgehört hatte, sind wir gemeinsam noch ca 1 km zu Fuss bis zu Popats Farm gelaufen. Dorthin gelangt man in der Regenzeit wirklich nur zu Fuss. Popat lief selbstverständlich barfuss, was in den Schlammmassen am einfachsten ist. Wir versuchten es auch, kamen aber nicht sehr weit, da überall Dornen, Müll und Steine den Boden bedecken. Also Schuhe wieder an. Unsere Schuhsohlen hatten nach wenigen Minuten jedoch einen enormen Stroh- Schlamm-Batzen als Absatz, dass das Laufen fast nicht mehr möglich schien. Achtung Rutschgefahr! Bei Ankunft vor dem Farmhaus erst einmal Füsse waschen und dann …einfachstes Landleben erfahren. Zu unserem Erstaunen war es jedoch das erste Farmhaus, in dem wir einige Bücher und Zeitschriften auf einem kleinen Wandregal entdeckten.
Wir bekamen erst Tee angeboten, sind dann die Farm abgelaufen und danach gab es noch eine kleine Schüssel gekochte Reisflocken mit Kräutern und Erdnüssen.
Zum Abschluss noch ein Gemeinschaftsfoto! Popat war so stolz, uns seine Familie vorzustellen und seine Farm zu zeigen. Mit nur ganz wenigen Englischkenntnissen, hat er uns sein ganzes Leben erzählt und gesagt, dass er sich so sehr freut, mit uns nun auch mal englisch zu sprechen. Er will es üben, um sich zu verbessern.

Vom Kindergarten bis zur 9. Klasse werden derzeit in der „English Medium School“ die Schüler unterrichtet. Seit Jahren besteht das grosse Problem darin, dass bis zur 4. Klasse die Schülerzahlen sehr hoch und hoch sind und ab der 5. Klasse sinken sie schrittweise immer weiter ab. In diesem Schuljahr haben wir teilweise in den höheren Klassen nur noch zwischen 3 bis 5 Schüler. Eine Ausnahme ist lediglich die neue 9. Klasse. Das sind die allerersten Schüler überhaupt, die hier in Alegaon in der Schule englisch beschult wurden.

In den ersten zwei Wochen des neuen Schuljahres kommen und gehen die Schüler, so dass man nie genau weiss, wer eigentlich nun tatsächlich aufgenommen wurde und auch dementsprechend das Schulgeld gezahlt hat. Eltern setzen ihre Kinder einfach in die Schulbusse, die wie immer ihre Touren über die umliegenden Dörfer fahren. Keiner weiss, wer die Kids sind und in welchen Jahrgang sie gehören. Es ist ein einziges Chaos. Von ca. 30 krakelenden Kleinkindern heulen zeitgleich immer 5, sie scheinen einander „anzustecken“. Die Kinder werden, nach alter pädagogischer Tradition, in den Räumen eingeschlossen damit sie nicht heulend nach draussen laufen und andere Unterrichtseinheiten stören können. Zwei Lehrerinnen setzen sich dem ohrenbetäubenden Lärm aus, sind aber völlig am Ende. Das sei jedes Jahr so, berichten sie uns aber eine Methode zum Umgang damit (bei uns ist das die Kita-Eingewöhnungsphase) gibt es hier nicht. Wir sind jedoch „Weltmeister im Improvisieren“. Ich male mit den Kids, baue Holzklotztürme und singe aus lauter Verzweiflung mein ganzes Repertoire an deutschen Kinderliedern immer und immer wieder. Hätte ich doch nur öfter mit meinen Patenkindern Lene und Jara gesungen oder Musik gemacht, dann wäre ich jetzt besser aufgestellt und würde mehr Kinderreime und -lieder kennen.
Auch Thomas hält den Krach nicht mehr länger aus und schliesst schnell noch einen alten PC mit seinem Handy zusammen, recherchiert im Internet und dann erklingen endlich Kinderlieder in Marathi und es gibt sogar einen Cartoon zu sehen. Es ist ansatzweise Ruhe! Entspanntere und dankbare Gesichter bei den beiden erschöpften Lehrerinnen.

Finanziell ist das bisherige Konzept so nicht mehr wirtschaftlich fortzusetzen. Es wurde schon bisher kein Gewinn mit der Schule zum Reinvestieren erwirtschaftet. Unterdessen stehen selbst die jährlichen privaten Investitionen unserer Gastfamilie in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand, der allgemein zum Erhalt betrieben werden muss. Ausserdem sind für die höheren Klassen weitere Investitionen nötig wie z. B. ein Computerkabinett und ein Labor. Das Geld dafür kann jedoch nicht über die Schulgelder refinanziert werden.
Daher hatten wir bereits im April, nach ersten groben Budgetplanungen und Finanzhochrechnungen, eine Konzeptveränderung vorgeschlagen. Diese wurde jedoch bisher nicht wirklich geprüft, sondern aus Loyalitätsgünden gegenüber Baba verworfen.

Da sich nun die Schwierigkeiten in der Schule häufen (keine neuen Lehrer, sinkende Schülerzahlen, kein Management vor Ort, zu geringe Einnahmen, wenig Spenden) haben wir nun doch noch den Auftrag bekommen, unseren Konzeptionsvorschlag (nur noch Kita und bis 4. Klasse) zu kalkulieren. Daher stehen für Thomas wieder umfangreiche Excel-Stunden auf der Tagesordnung.

Der Bau des neuen Klassenzimmers für die 9. Klasse ist nun selbstverständlich auch gestoppt. Das Basement ist unterdessen allerdings fertig. Daher müssen wir auch noch überlegen, was perspektivisch damit geschehen kann. Vermutlich werden wir nur noch die Fussbodenabdeckung beauftragen und den Platz überdachen lassen. Dann ist das halt ein Picknickplatz für die Kinder zur Mittagspause. Derzeit essen sie in den Klassenräumen. Es besteht allerdings Sturzgefahr auf der neuen „Terrasse“ aber ich denke, das interessiert hier erstmal niemanden…

Wir sind gespannt, was unsere Berechnungen und Überlegungen in den nächsten Tagen für Ergebnisse und Entscheidungen bringen.

How to teach?

Die Schule hat begonnen und wir widmen uns nun intensiver der Methodikanwendung durch die Lehrer. Bisher wird ausschliesslich frontal unterrichtet, d. h. der Lehrer liest den Unterrichtsinhalt aus einem Lehrbuch vor und die Schüler müssen ihn dann im Chor aufsagen. Somit ist der Fachlehrer stets genau eine Lehrbuchseite im Wissensvorsprung gegenüber den Schülern. Vorbereitungszeit für die einzelnen Unterrichtsstunden gab es bisher nicht. Das haben wir mit dem neuen Schuljahr gerade erst eingeführt. Jetzt müssen wir die dafür eingeplante Zeit gemeinsam mit den Lehrern füllen. Um den Unterricht in einer anderen Form wie z. B. Gruppen- oder Projektarbeit zu gestalten, bedarf es der Ideengebung, der gemeinsamen Planung und Umsetzung mit einzelnen Lehrern und selbstverständlich werten wir dann das Ergebnis des Unterrichtes auch aus.
So haben Thomas und ich spontan einen kompletten Tag mit der 8. und 9. Klasse abgehalten und am nächsten Tag noch einmal mit der 5. bis 7. Klasse. Da am Schuljahresanfang nur zögernd die Schüler in ihre Klassen zurückkehren, werden anfangs die Klassen teilweise zusammengelegt.

Mit je einem Fachlehrer haben wir den Tagesablauf folgendermassen geplant:

  1. den Schülern das Thema vorstellen (Gestaltung des Klassenraumes mit unterrichtsrelevanten Inhalten in Form eines Plakates)
  2. Ideensammlung mit den Schülern (welches Unterrichtsfach und welche Inhalte?)
  3. bereits erstellte Exemplare aus anderen Klassen in anderen Räumen zur Anregung gemeinsam anschauen
  4. gemischte Schülergruppen (Zweier- oder Dreierteams) zusammenstellen
  5. Wahle des zu gestaltenden Unterrichtsfaches und Inhaltes durch die Schülergruppen
  6. Anfertigung einer Skizze für das zu erstellende Plakat und Präsentation vor den Mitschülern
  7. Gestaltung eines Plakates in Gruppenarbeit

Wichtig für die jeweilige Unterrichtseinheit waren uns dabei folgende Schwerpunkte:

  1. Gruppenarbeit
  2. Kommunikation zwischen Jungen und Mädchen
  3. Lernen durch kreative Gestaltung

Mit Erstaunen haben wir die Fähigkeiten der unterschiedlichen Schüler und Jahrgänge beobachtet. Dabei ist auch hier auffällig, dass deren Feinmotorik, der Ideenreichtum, das Durchhaltevermögen und die Konzentrationsfähigkeit unserer Meinung nach unter dem zu erwartenden Altersniveau sind.
Beiden Schulklassen hat der Unterrichtstag sichtlich Spass gemacht, trotz der empfundenen inhaltlichen Herausforderung. Auch die beiden Fachlehrer waren begeistert, wie abwechslungsreich so ein Unterrichtsfach bzw. -tag gestaltet werden kann. Thomas und ich waren am Ende unserer Kapazität was inhaltliche Anleitung, strukturgebende Organisation, Sprache und Kreativität zur Gestaltung angeht. Die Atmosphäre war jedoch einmalig und hoffentlich bleibt diese Erinnerung zur Nachahmung sowohl bei den Lehrern, als auch bei den Schülern bestehen.

Und hier einpaar Eindrücke:

Ausgegrenzt

Im April hatten wir zum Tempelfest in Alegaon Rupali kennengelernt, eine junge Frau mit zwei Kindern im Alter von 9 und 14 Jahren. Sie hat bis vor zwei Jahren auch an unserer Schule unterrichtet. Insgesamt war sie 7 Jahre als Lehrerin dabei. Sie ist mit einem „Babar- Sohn“ verheiratet. Daher gehört sie im weitesten Sinne zu der Grossfamilie, die im Dorf Alegaon einen enormen Einfluss hat, alle wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft trifft und somit die Dorfgemeinschaft lenkt und leitet.

Rupali war als Lehrerin sowohl bei den Schülern, ihren Kollegen und wohl auch bei den Angehörigen beliebt. Das sagen die Einen. Die Anderen beschreiben sie als arrogant, streitlustig und grenzüberschreitend, nur nicht genau mit diesen Worten. Beide Meinungen haben wir aus diversen Gesprächen mit ihren ehemaligen Kollegen und auch mit Baba erfahren.
Als ein Lehrer und bis dahin gleichwertiger Kollege zum Schulleiter ernannt wurde, nahm das Drama seinen Lauf. Rupali konnte von ihm keine Anweisungen annehmen, kritisierte offen (vielleicht manchmal auch in unangemessener Art und Weise) seine wenig vorbildhafte Haltung und Arbeitsweise. Damit wurde sie zunehmend zum „Problemfall“. Vor zwei Jahren eskalierte der Streit und Rupali wurde hauptsächlich wegen dieses persönlichen Konfliktes entlassen.
Dieser Lehrer ist auch heute noch Schulleiter und nunmehr „unser Problem“, was wir gerade versuchen im Rahmen unserer Unterstützung hier vor Ort zu lösen. Unterdessen wurden ihm einige Managementaufgaben entzogen und er muss ab dem neuen, nun bereits begonnenen Schuljahr verstärkt unterrichten. Diese Massnahmen sind alle mit dem oberen Management in Pune/USA abgestimmt und entspringen nicht nur unseren Einschätzungen der Lage hier vor Ort.

Zusätzlich zu der beruflichen Katastrophe einer Entlassung als Lehrerin nach 7 Jahren, hat sich aus unterschiedlichen Gründen auch noch der Ehemann von Rupali getrennt und die Familie verlassen. Er lebt und arbeitet nun in Pune, und es gibt keine finanzielle Unterstützung von ihm für seine Frau und die beiden Kinder. Was für ein Desaster!
Rupali lebt seit mehr als einem Jahr allein mit ihrem Sohn und der Tochter auf einer von der Familie verlassenen Farm etwas ausserhalb von Alegaon. Sie ist komplett aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Selbst die Familie Babar unterstützt sie nicht mehr. Lediglich von der Familie ihres Bruders bekommt sie minimale Hilfe.

Rupali bewirtschaftet die kleine Farm (Granatapfel, Mango, Kräuter) ohne Hilfe, versorgt eine Kuh, einen Büffel und mehrere Ziegen. Die Selbstversorgung ist also mit harter Arbeit gesichert. Ausserdem hat sie nun seit kurzem noch einen Job als Lehrerin in einer Schule in Sangola. Dorthin fährt sie selbständig mit einem Scooter, ohne männliche Begleitung. Das ist eigentlich inakzeptabel und sorgt bereits für neuen Gesprächsstoff im Dorf!

Vergangene Woche hatte Rupali uns zu sich nach Hause eingeladen. Dieser Einladung sind wir selbstverständlich gefolgt, um bewusst ein Zeichen gegen ihre Ausgrenzung zu setzen. Unsere Gastfamilie hat darauf sehr verhalten und verständnislos reagiert. Wir mussten unseren Besuch bei ihr erklären und fast ein wenig rechtfertigen.

Der Besuch bei Rupali war für mich eine einschneidende Erfahrung und hat auch im Nachhinein noch für Diskussionen bei uns gesorgt. Selbst Shria, die sich selbst ab und an sehr verhalten über die eingeschränkten Rechte der Frauen im Dorf äußert, kann das Verhalten von Rupali gar nicht nachvollziehen und gibt ihr für die verfahrene private Situation allein die Schuld. Diese Abhängigkeit und Ächtung einer jungen Frau vom gesamten sozialen Lebensumfeld zu erleben, ist bedrückend. Sicherlich trägt Rupali mit ihrer ausgeprägten streitbaren Persönlichkeit auch dazu bei. Sie ist damit jedoch in gewisser Weise Vorreiterin der freien und vor allen eindeutigen Meinungsäusserung speziell durch Frauen. Das gibt es bisher gar nicht. Es wird allerdings noch sehr lange dauern, bis sich Traditionen in Bezug auf die Rolle der Frau lockern und sie mehr Freiraum und Mitsprache im Alltag erhalten.

Voll Stolz hat Rupali auf Facebook unseren Besuch gepostet, um ihrerseits ein Zeichen zu setzen. Hoffen wir mal, dass es ihr ansatzweise hilft.

Tag der Entscheidung

Wir haben 10 erfolgreiche Arbeitstage mit den Lehrern hinter uns. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Lehrer angefangen haben, ihre Klassenräume selber zu gestalten und die Softboards mit ihren Ideen verschönert haben, so dass jetzt von Kindergarten bis zur 5. Klasse die Wände schön gestaltet sind.
Sonni hatte auch die famose Idee, an den Wänden Strippe zu spannen. Die bisher an die Wände geklebten und vollkommen räudig aussehenden Namensschilder für die Jüngsten werden wir nun durch laminierte Schilder ersetzen, die wir dann mit Schlüsselringen an den Strippen befestigen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten hat sich ein Lehrer nun sogar breitschlagen lassen, mit der von uns angeschafften Bohrmaschine Löcher für die Haken der Strippe zu bohren. Da es im Ort bisher nur zwei Bohrmaschinen gibt, ist das beileibe nicht selbstverständlich, denn die vorherrschende Meinung st eigentlich, dass man zur Gerätemiete den Arbeiter fast umsonst dazu bekommt – die Arbeitskosten sind ja auch so gering. Das Problem dabei ist, dass man die Leute eben nur alle paar Wochen bekommt und ewig hinterherrennen muss. Das heißt, für das simple Anbringen von Strippe wartet man unter Umständen zwei Wochen und führt 10 Telefonate.
Doch nun ist die Vorbereitungszeit zu Ende und wir bereiten den ersten Schultag mit den Lehrern vor. Dabei stellt sich nun jedoch heraus, dass mal wieder eine unserer Annahmen vollkommen fehlgelaufen ist. Wir haben mit den Lehrern im April das Zeitmanagement abgestimmt – 7h Arbeit in der Wintersaison (die jetzt beginnt) – das ist etwas mehr als eine Stunde nach Beendigung des Unterrichts. So hätten wir selbst mit den Lehrern und die Lehrer später noch ohne uns wenigstens etwas Zeit um an der Vorbereitung des Unterrichtes zu arbeiten, englisch zu lernen oder Unterrichtsmittel vorzubereiten.
An unserem letzten Tag der Vorbereitung gehen jedoch einige der Lehrer auf die Barrikaden – sie kommen aus Sangola mit dem Bus, der um 15:00 und das nächste Mal um 17:00 fährt. Unsere Schulzeiten enden jedoch um 15:30. Als sie der Regelung im April zugestimmt haben, hatten sie definitiv noch nicht so weit gedacht – wie auch, wenn die Gewohnheit ist, alles nur wirklich kurzfristig und ohne längere Planung zu entscheiden. Sie haben ein Monatsticket gekauft, jede Fahrt in der Rikscha außerhalb der Buszeiten kostet 20 Rupien – also im Monat 500 Rupien – das ist bei den schmalen Gehältern eine riesige Herausforderung.
Als wir darauf hinweisen, dass das ja die Zeiten sind, die gemeinsam festgelegt wurden (wie gesagt, Fehlannahme von uns, dass ansatzweise eine mittelfristige Planung möglich sei) bitten die Lehrer uns um 15 Minuten Diskussionszeit auf Marathi. Als wir nach 15 Minuten lebhafter Diskussion zurückkommen eröffnen uns die Lehrer, dass sie gern nach Unterrichtsende noch 15 Minuten da bleiben würden aber dann leider den Bus nehmen müssten. Daraufhin nehmen wir beide uns lebhafte 15 Minuten Auszeit und eröffnen den Lehrern anschließend, dass dies für uns das Ende unseres Einsatzes bedeutet und wir nur noch einen weiteren Tag vor Ort sein würden. Für uns hatte sich eine solche Möglichkeit immer schon angedeutet, zu oft waren wir schon daran verzweifelt, wie wenig Ergebnisse unseres Einsatzes angesichts der äußeren Umstände im Management letztendlich bleiben werden. Wenn nun auch noch die eine Stunde an regelmäßiger Arbeit außerhalb des Unterrichtes entfiele, würde zu wenig bleiben, um unsere Anwesenheit noch weiter zu rechtfertigen.
Die spontane Reaktion der Lehrer überrascht uns jedoch – sofort kommt die Bitte an uns zu bleiben – sie würden sich nochmal etwas überlegen. Wir sollen nur bitte bleiben. Dies überrascht insbesondere, da wir unsere Antwort ja nicht etwa drohend sondern eher ganz sachlich als Information geäußert hatten. Für uns war das damit eigentlich durch.
Am folgenden Tag haben wir dann das Thema fürs Erste abschließen können. Die Lehrer bleiben bis 15:30. Wir reduzieren die Anwesenheitspflicht um eine Viertelstunde. Es ist ein Kompromiss, der den Lehrern eine Menge abverlangt. Dass er im Wesentlichen von ihnen so geschlossen wurde damit wir bleiben ist für mich ein riesiger Vertrauensbeweis.
Das ewige Hinundher ist für Sonni natürlich schwerer zu ertragen als für mich. Meine Emotionen haben normalerweise heftigere Ausschläge als Sonnis. Daher komme ich auch mit solchen Amplituden besser klar. Wir haben uns nach langen Diskussionen aber schlussendlich entschieden zu bleiben – nicht für das Management in Pune oder Alegaon sondern für die Lehrer und Schüler.