Startschuss

„Launching“ ist ein sehr wichtiges Wort in Ruanda. Alles wird hier ge-launched. Heisst nix anderes als etwas beginnen oder starten. Ursprünglich wurde in der Wirtschaft die Einführung neuer Produktlinien auf dem Markt ge-launched. Doch in Ruanda hat das Wort scheinbar eine ganz andere Bedeutung. Jedes noch so kleine Projekt wird offiziell ge-launched, wobei noch gar nix tatsächlich Neues auf dem afrikanischen Markt eingeführt wird. Vielmehr sollte man wohl, wie für IT-Projekte üblich, von so genannten formalen „Kick offs“ sprechen. Da werden Projektinhalte, -phasen und Verantwortlichkeiten noch einmal für alle Beteiligten vorgestellt, obwohl man in der Vorbereitung des Projektes ja oft ohnehin schon mehrfach intensiv miteinander im Austausch stand. Egal! Eine „Kick off“ Veranstaltung muss sein! Dadurch kann sich später keiner der Beteiligten herausreden, man hätte dieses oder jenes anders verstanden, in der Intension nicht so beabsichtigt oder angestrebt. Alle haben die gleiche Ausgangsbasis und den gleichen Kenntnisstand. Das macht also definitiv Sinn und verringert Missverständnisse von Anfang an. Leider erleichtert es das gemeinsame, multiprofessionelle und interkulturelle Arbeiten trotzdem nicht unbedingt. Denn oft hat weiterhin jeder seine eigene (unausgesprochene) andere Vorstellung vom Projekt und verfolgt damit einhergehend häufig auch eigene Ziele. Jedenfalls würde aus meiner Wahrnehmung eher eine Kick off-Veranstaltung zum Erfolg Rwandischer Projekte beitragen, als ein vorgezogenes „Launching“.

Jedenfalls war klar, wir würden unser IT-Trainingsprojekt für Blinde ebenfalls offiziell „launchen“ müssen. Dazu werden stets hochrangige Persönlichkeiten, Unterstützer, die Presse aber selbstverständlich auch die eigentlichen Akteure eingeladen. Das ist in Zeiten beschränkter Gästezahlen und eingeschränkt funktionierender Businesses aufgrund umfassender Corona-Schutzmaßnahmen eine Herausforderung. Aber das würden Beth und ich schon irgendwie meistern.

Zuerst erfolgte die Terminabstimmung mit der Amerikanischen Botschaft, die die Gelder zur Finanzierung des Projektes bereitgestellt hatten. Der Schriftverkehr ging mehrfach hin und her bis dann der 21.05. feststand. Doch wir sollten noch einen detaillierten Ablaufplan schicken, bevor eine konkrete Zusage zur Teilnahme von der Botschaft gegeben und die tatsächliche Teilnehmerzahl festgelegt werden würde. Auch die offiziellen staatlichen Einrichtungen der Behindertenhilfe (NCPD und NUDOR) und der Bezirke mussten mit einer persönlichen Einladung bedacht werden. Selbstverständlich durfte auch ein Vertreter von RISA als dem vertretenden staatlichen Organ des ICT-Ministeriums nicht fehlen. Doch unterdessen habe ich vereinzelt persönliche Kontakte und so konnten wir gezielt Personen einladen.

Selbstverständlich stehen die Studenten und Studentinnen im Vordergrund unserer Bemühungen, daher sollten sie vordergründig die Möglichkeit bekommen, sich zu präsentieren und erlernte Fähigkeiten zu zeigen. Speziell den Einsatz technischer Geräte wie z. B. Orbit Reader wollten wir gleich mal in der Praxis präsentieren. Dadurch würde offensichtlich werden, wie wichtig Technik für blinde Menschen ist und wie stark sich deren Alltag damit positiv verändern kann.

Daher wurde als erstes der konkrete Zeitplan entsprechend der verschickten Einladungen mit allen potentiellen Gästen und Rednern auf die Orbit Reader hochgeladen. Der MC (Master of Ceremony) also der Moderator der Veranstaltung würde somit den gesamten Tagesablauf auf dem Gerät lesen und daher die einzelnen Punkte gut anmoderieren können.

Die Aussicht auf ein „Launching Event“ schien alle zu beflügeln. Wir hatten zwei Wochen, um eine aussagekräftige Präsentation von „Seeing Hands“ im Rahmen dieses Events vorzubereiten. Beth liess noch ein aktuelles Werbeplakat drucken und wir bestellten eine „Thank You!“ Torte, die gemeinsam mit den Vertretern der Amerikanischen Botschaft angeschnitten werden sollte.

Eine Powerpoint Präsentation mit den Highlights an Aktivitäten von „Seeing Hands“ aus dem zurückliegenden Jahr war vorbereitet. Den Videoprojektor hatte ich rechtzeitig bei der GIZ ausgeliehen. Zusätzlich waren zwei Optionen vorbereitet für den Fall eines technischen oder eines Stromausfalls. Letzteres kommt im Kicukiro regelmäßig vor und kann daher in der Vorbereitung leicht mit berücksichtigt werden. Es sollte also an unserem großen Tag nix schief gehen!

Am 20.06. war Generalprobe. Schließlich sollten sich alle Studenten sicher im Objekt bewegen können und sich und ihr Anliegen selbstbewusst vertreten. Daher begannen wir im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Probedurchlauf. Der würde den Student*innen zur besseren Orientierung im Raum dienen. Mit 4 blinden Männern und 3 Frauen übte ich unter Verwendung des Langstockes ihren persönlichen „Bühnenauftritt“. Es war wirklich wie im Theater. Wer würde wo sitzen, wo befand sich der Videoprojektor, wo sassen die Gäste zu denen man sich ausrichten würde und wo waren angrenzende Räume wie z. B. Terrasse, Treppenaufgang und Toilette?

Der Gesamte Ablauf wurde mehrfach „durchlaufen“ und durchgesprochen, inklusive der jeweiligen persönlichen Redebeiträge der Einzelnen. Ich imitierte erst einmal die Gastredner und wurde von Pacifique, dem MC, in mehrfachen Rollen angekündigt. Die Einhaltung des Zeitplans war wichtig, da die Gäste mit Sicherheit nicht alle bis zum Abschluss bleiben würden. Daher sollte sich in nur wenigen Minuten jeder Student mit seinem persönlichen beruflichen Background vorstellen und für sich werben. Keine einfache Angelegenheit, obwohl alle Teilnehmenden Universitätsabsolventen mit Bachelor-Abschlüssen in Psychology, Kommunikation, Bildung oder Technik waren. Mit jedem Durchlauf wurden die Studenten sicherer und offener für Improvisationen. Allgemeinaussagen wurden vermieden und statt dessen individuelle Erfahrungen, Wünsche und Herausforderungen dargestellt. „Zeichnet ein Bild von euch selbst, welches die sehende Welt als Erinnerung an die Präsentation mitnehmen kann“, war die Aufforderung an alle und diese Vorstellung schien zu funktionieren.

Am 21.05. kamen wie erwartet nur wenige, jedoch die für uns wesentlichen Gäste. Statt 10:00 Uhr konnten wir auch erst 11.00 Uhr beginnen. Doch auch diese Zeitverschiebung hatte wir bereits eingeplant und dementsprechend das Programm angepasst. Es lief alles entspannt und reibungslos. Alle Anwesenden waren in bester Verfassung, die Stimmung familiär und gelöst. Den Eindruck, den „Seeing Hands“ mit der Einführung des IT Trainingsprogrammen hinterliess, wurde als professionell durch die Anwesenden bestätigt und das war unser Hauptanliegen. Eine kleine aber sehr gelungene Veranstaltung hatten wir gemeinsam organisiert!

Thomas kam mich am Nachmittag 14:00 Uhr abholen und hatte so noch die Gelegenheit, einige der Studenten und Cletus, einen Geschäftsmann und Freund von Beth aus Kamerun sowie unseren Vermieter Fidense von „Park & Pick“ kennenzulernen. Auch für ihn und sein Unternehmen war es gut, sich inhaltlich vorstellen zu können und die besondere Form der Zusammenarbeit mit „Seeing Hands Rwanda“ darzustellen. Schließlich besteht weiterhin der Plan darin, technisch trainierte Studenten an „Park & Pick“ zu vermitteln.

Am Spätnachmittags würden Thomas und ich endlich unsere Koffer packen und gegen 23 Uhr zum Flughafen aufbrechen. Heimaturlaub in Berlin vom 22.05. bis 28.06. war geplant in Verbindung mit dem 80. Geburtstag von Thomas Mutter und unserer persönlichen Corona-Impfstrategie.

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