Neustart nach dem Lockdown

Nach intensiver Vorbereitung konnte das IT Training in den üblichen zwei Gruppen an vier Tagen pro Woche für die 18 blinden Frauen und Männer am 17.08. endlich fortgesetzt werden. In unmittelbarer Nähe zum „Massage-Studio“ von Beth in Kacyiru hatte sie Räume gefunden, die für unsere Zwecke geeignet sind. In der 2. Etage eines „Business-Houses“ mit einem integrierten Supermarkt mieteten wir einen großzügig geschnittenen Raum mit Balkon und separater Toilette für 235 EUR monatlich. Strom- und Wasserverbrauch, sowie Internet sind allerdings exklusive und werden von uns mit je 20 bis 25 EUR pro Monat geplant.

Doch wir mieteten nicht nur den einen Raum. Es gab zwei weitere Räume, die durch den Flur mit dem neu angemieteten Trainingsraum verbunden aber separat von außen zugänglich waren. Ideal für eine Erweiterung! Alle Räume sollten 453 EUR kosten. Ein Raum würde Beth als Massage-Trainingsraum nutzen und von ihrem aktuellen Ort in der 1. Etage des gleichen Gebäudes in die 2. Etage umziehen. Den dritten Raum würden Callixte und ich als Büro nutzen.

Die Einrichtung mit 10 Stühlen und 10 Tischen für das IT Training mussten wir selbst organisieren. Aber das war unserer Meinung nach kein Problem. Es gibt in Kigali schließlich den so genannten „Wood- Market“. Ein überfüllter Platz auf dem sich unzählige kleine Holzwerkstätten aneinanderreihen und eine Flut von Menschen unter freiem Himmel oder in überdachten Verschlägen sämtliche Möbelstücke anfertigen, die man sich vorstellen kann. Das war dann auch unser Plan.

Um den Preis nicht in die Höhe zu treiben, verzichtete ich darauf, Beth auf den Markt zu begleiten. Stolz verkündete sie später, sie habe gut verhandelt und für nur 12 EUR pro Tisch und 7 EUR pro Stuhl eine Bestellung für uns aufgegeben. In zwei Tagen könnten wir alles abholen. Es sei auch bereits alles bezahlt aber eine Rechnung habe sie noch nicht bekommen, die würden wir bei der Abholung erhaltenen. Mir klappte der Unterkiefer runter. Was war nur in sie gefahren? Es ist ein absolutes „No go“ in Rwanda, den vollständigen Kaufpreis zu zahlen ohne das fertige Produkt gesehen zu haben. Das wird normalerweise nur von dummen und unerfahrenen Muzungus, also von mir, erwartet. Aber Beth???

Wenige Tage später fuhren wir in der Hauptgeschäftszeit mit zwei Autos auf den Markt und wollten unsere 10 Tische und 10 Stühle abholen. Es herrschte ein gigantisch Verkehr und im Stop & Go quälten wir uns meterweise vorwärts, umringt von zahlreichen Motorradfahrern, die aus allen Ecken kamen. Die Einfahrt zum Markt war nur durch ein klappriges Tor zu befahren und das war das „Nadelöhr“. Dort mussten sich alle Ankommenden im Auto die Hände desinfiziert und am offenen Fenster wurde die Körpertemperatur gemessen. Die Abfahrenden brauchten einen Nachweis darüber, dass sie die Parkgebühren von 20 Cent bezahlt hatten. Das erzeugte in beiden Richtungen eine schier unendliche Warteschlange!

Geschafft! Zielstrebig ging Beth auf eine der Holzwerkstätten zu, bei der sie glaubte, bestellt zu haben. Und schon begann das vorhersehbare Chaos. Welche Stühle?, wurden wir gefragt. Der Typ und vermeintliche Besitzer der Holzwerkstatt war nicht zu finden und einen Namen hatte Beth nicht. So lief sie erst einmal suchend auf dem Gelände herum, bis sie in einer anderen Ecke den Auftragnehmer unserer Bestellung erkannte und ansprach. Er schlenderte gemütlich mit Beth über den Markt und von einer Produktionsstätte zur nächsten als suche er selbst nach unserer Bestellung. Schließlich blieb er stehen und zeigte auf etliche übereinander gestapelte unfertige Tische. Nun ahnte auch Beth den weiteren Verlauf unserer Abholaktion. Schlechte Holz- und Verarbeitungsqualität, kein Nachweis über die Bezahlung und die gezeigten Stühle und Tische obendrein wackelig. Lautstark und temperamentvoll gestikulierend entstand ein „Verkaufsgespräch“, wie ich es mir nicht besser hätte vorstellen können. Wir waren schlagartig umringt von etlichen interessierten Zuhörern, doch ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis! Beth war verzweifelt und fragte mich, was wir machen sollten.

Ich hatte bisher nur beobachtend herumgestanden und ehrlich gesagt auch keinen Plan.

Überzeugend selbstsicher holte ich mein Handy aus der Tasche und machte einige Fotos vom „Tatort“. Danach bat ich Beth nach der Lizenz des Typen zu fragen. Ein Business muss nämlich auch in Rwanda registriert werden. Plötzlich wurde der Ton ruhiger. Ich hatte also den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gab keine Erlaubnis ein Business zu führen. Unsere einzige Chance war nun, mit einer Rwandischen Autorität zu drohen. Daher liess ich im Gespräch mit Beth mal RRA fallen ( Rwanda Revenue Authority) und sie antwortete mit RNP (Rwanda National Police). Umgehend wurde uns eine Quittung über den bereits gezahlten Betrag von 190.000 RFW ausgestellt mit einer Steuernummer des Geschäftsinhabers. Na bitte, geht doch!

In zwei Tagen sollten wir wiederkommen, um alles abzuholen. Da hatten wir wohl nochmal Glück gehabt. Wir waren gespannt, welche Qualität man uns abschießend anbieten würde. Vermutlich nicht mehr die aller schlechteste.

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