Kooperativen in Rwanda

Thomas und ich haben uns immer mal wieder gefragt, weshalb es überall in Ruanda unzählige kleine Shops nebeneinander gibt, die alle die gleichen Angebote an Lebensmitteln, Getränken oder Gas-Kartuschen und Wasserkanistern haben. Viele davon scheinen Kooperativen zu sein, die sich die Einnahmen aber hoffentlich auch den Arbeitsaufwand teilen.

Stellt eine Privatperson bei einer Bank eine Anfrage für einen Kredit, wird sie als erstes aufgefordert weitere Partner zu suchen und eine Kooperative zu gründen. Das bedeutet, eine gewisse Anzahl an Gleichgesinnten, abhängig vom bankfinanzierten Vorhaben, vereinigen sich mit einem gemeinsamen Ziel z. B. der Eröffnung eines Lebensmittelladens. Jede der beteiligten Parteien muss monatlich einen festgelegten Betrag in die „Gemeinschaftskasse“ einzahlen. Dieses Geld wird gespart. Ist ein bestimmter Betrag zusammengekommen, wird die Bank informiert, die dann ihrerseits einen weitere Geldbetrag dazu gibt und somit das geplante Vorhaben finanziert. Die Rückzahlung scheint auf die gleiche Art und Weise zu funktionieren. Wodurch der soziale Druck auf jeden, sich auch tatsächlich an die verabredete regelmäßige Zahlung zu halten, enorm hoch ist.

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Entwicklungshelferin habe ich mit Kolleg*innen drei solcher Kooperativen in Muhanga (zweitgrößte Stadt Rwandas in der Southern Province) besucht. Eine dieser Kooperativen unterstützt Rwandische Jugendliche bezüglich einer Ausbildung als Friseur*in, eine andere bildet Näher*innen und Stricker*innen aus und berücksichtigt dabei auch Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und die dritte hat sich auf die Zielgruppe von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen/Taubheit spezialisiert.

Alle drei Kooperativen werden im Rahmen von unterschiedlichen Projekten von meiner Partnerorganisation „Rwanda Union of the Blind“ begleitet und von der DAB (Dänische Assoziation für Blinde) finanziert.

Im City Center von Muhanga befindet sich in der zweiten Etage eines kleinen Geschäftshauses ein Frisiersalon, der jungen Menschen aus der unmittelbaren Umgebung die Möglichkeit der Friseurausbildung bietet. Hier können Jugendliche das Handwerk vom Grund auf erlernen. Der Schwerpunkt liegt allerdings in der Vorbereitung von Braids (Kunsthaarzöpfe), die in den unterschiedlichsten Farben, Dicken und Längen manuell hergestellt werden. Haarschnitte für Frauen gibt es nach unserem Verständnis nicht wirklich, da das afrikanische Haar einfach nur kurz und kraus ist. Deshalb werden die Braids nach unterschiedlichen Katalogvorlagen angeboten und als Frisur verkauft.

Frauen können wählen, ob sie lediglich einzelne Braids oder das Kopfhaar vollständig eingeflochten bekommen möchten. Die Prozedur dauert mehrere Stunden und kostet in diesem Salon zwischen 5.000 und 35.000 FRw (= 31 EUR). Haare färben und glätten werden als Services natürlich auch angeboten, doch nach meinen Beobachtungen stehen die Braids bei den Frauen und vereinzelt auch bei jungen Männern ganz hoch im Kurs. Letztere kommen jedoch ansonsten eher regelmässig zum maschinellen Haarschnitt, jedoch nicht wie in Indien auch zum Rasieren in die Salons.

Sofern die Auszubildenden auch Kund*innen des Friseur-Salons bedienen, werden die Einnahmen untereinander geteilt, so dass jeder ab und an ein kleines Einkommen hat.

Nach einem umfangreichen gemeinsamen Mittagsbuffet mit meinen Kolleg*innen in der Innenstadt für 2000 FRw besuchten wir eine Kooperative, die sehr erfolgreich Arbeitsmöglichkeiten für 5 sprach- und hörbeeinträchtigte Menschen etabliert hat.

Aus Leichtmetallplatten, die in unterschiedlichen Grössen zugeschnitten und über Stahlstangen mit kräftigen Hammerschlägen gefalzt werden, entstehen Boxen. Ohne Schweissen und Löten finden alle Arbeitsabläufe in manueller Kleinarbeit statt. Die Vorratsboxen werden im wahrsten Sinne des Wortes zusammengehämmert. Lediglich Scharniere und Henkel werden mit den Köpfen abgezwickter Nägel befestigt. Zum Abschluss bekommen alle Boxen einen leuchtend blauen oder silbernen Anstrich.

Der Preis pro Box liegt auch hier zwischen 5.000 und 45.000 FRw. Angeblich hat jeder Rwandische Haushalt eine solche Box, denn nach der Hochzeit zieht jede Braut mit ihrem Hab und Gut darin zu ihrem Mann. Und in der Tat habe ich in vielen Läden in Muhanga City diese handgearbeiteten Unikate zum Verkauf stehen sehen. Die Beschäftigten produzieren also tatsächlich für den freien Markt und haben die Chance, ein eigenes regelmäßiges Einkommen zu generieren.

Am Nachmittag besuchten wir eine weitere Kooperative, die durch das Engagement einer sehr resoluten Frau entstanden ist. Durch ihre Initiative und durch zahlreiche private Spenden konnte eine moderne Schule errichtet werden. Auf der Rückseite des Gebäudes führt eine Rampe in die zweite Etage, so dass mobilitätseingeschränkte Auszubildende problemlos an den inklusiven Trainingskursen teilnehmen können. Unter ihnen sind auch blinde und sehbehinderte Männer und Frauen.

In mehreren Unterrichtsräumen werden bis zu 80 Auszubildende theoretisch und praktisch im Nähen und maschinellen Stricken geschult. Unterrichtsstunden in Materialkunde und Zuschnitt/Design werden ebenso abgehalten, wie praktische Übungen. Die vielfältigen Produkte bietet die Schule in einem kleinen Shop in Muhanga zum Verkauf an.

Eine kontinuierliche Finanzierungen der Ausbildung junger Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit in allen drei Kooperativen gibt es leider nicht. Trotzdem sind diese bereits nachhaltige Erfolgsmodelle, die sich mit ihren bisherigen Konzepten selbst tragen und refinanzieren. Durch eine dauerhaft gesicherte Finanzierung bestünde die Chance der Etablierung von Ausbildungsplätzen für blinde und sehbehinderte Menschen. Damit würde sich ebenso die spätere Möglichkeit einer eigenständigen einkommensgenerierenden Beschäftigung ergeben.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den alle gewillt sind mit gegenseitiger Unterstützung zu gehen. Ich bin selbstverständlich auch gern mit dabei.

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