Ausgegrenzt

Im April hatten wir zum Tempelfest in Alegaon Rupali kennengelernt, eine junge Frau mit zwei Kindern im Alter von 9 und 14 Jahren. Sie hat bis vor zwei Jahren auch an unserer Schule unterrichtet. Insgesamt war sie 7 Jahre als Lehrerin dabei. Sie ist mit einem „Babar- Sohn“ verheiratet. Daher gehört sie im weitesten Sinne zu der Grossfamilie, die im Dorf Alegaon einen enormen Einfluss hat, alle wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft trifft und somit die Dorfgemeinschaft lenkt und leitet.

Rupali war als Lehrerin sowohl bei den Schülern, ihren Kollegen und wohl auch bei den Angehörigen beliebt. Das sagen die Einen. Die Anderen beschreiben sie als arrogant, streitlustig und grenzüberschreitend, nur nicht genau mit diesen Worten. Beide Meinungen haben wir aus diversen Gesprächen mit ihren ehemaligen Kollegen und auch mit Baba erfahren.
Als ein Lehrer und bis dahin gleichwertiger Kollege zum Schulleiter ernannt wurde, nahm das Drama seinen Lauf. Rupali konnte von ihm keine Anweisungen annehmen, kritisierte offen (vielleicht manchmal auch in unangemessener Art und Weise) seine wenig vorbildhafte Haltung und Arbeitsweise. Damit wurde sie zunehmend zum „Problemfall“. Vor zwei Jahren eskalierte der Streit und Rupali wurde hauptsächlich wegen dieses persönlichen Konfliktes entlassen.
Dieser Lehrer ist auch heute noch Schulleiter und nunmehr „unser Problem“, was wir gerade versuchen im Rahmen unserer Unterstützung hier vor Ort zu lösen. Unterdessen wurden ihm einige Managementaufgaben entzogen und er muss ab dem neuen, nun bereits begonnenen Schuljahr verstärkt unterrichten. Diese Massnahmen sind alle mit dem oberen Management in Pune/USA abgestimmt und entspringen nicht nur unseren Einschätzungen der Lage hier vor Ort.

Zusätzlich zu der beruflichen Katastrophe einer Entlassung als Lehrerin nach 7 Jahren, hat sich aus unterschiedlichen Gründen auch noch der Ehemann von Rupali getrennt und die Familie verlassen. Er lebt und arbeitet nun in Pune, und es gibt keine finanzielle Unterstützung von ihm für seine Frau und die beiden Kinder. Was für ein Desaster!
Rupali lebt seit mehr als einem Jahr allein mit ihrem Sohn und der Tochter auf einer von der Familie verlassenen Farm etwas ausserhalb von Alegaon. Sie ist komplett aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Selbst die Familie Babar unterstützt sie nicht mehr. Lediglich von der Familie ihres Bruders bekommt sie minimale Hilfe.

Rupali bewirtschaftet die kleine Farm (Granatapfel, Mango, Kräuter) ohne Hilfe, versorgt eine Kuh, einen Büffel und mehrere Ziegen. Die Selbstversorgung ist also mit harter Arbeit gesichert. Ausserdem hat sie nun seit kurzem noch einen Job als Lehrerin in einer Schule in Sangola. Dorthin fährt sie selbständig mit einem Scooter, ohne männliche Begleitung. Das ist eigentlich inakzeptabel und sorgt bereits für neuen Gesprächsstoff im Dorf!

Vergangene Woche hatte Rupali uns zu sich nach Hause eingeladen. Dieser Einladung sind wir selbstverständlich gefolgt, um bewusst ein Zeichen gegen ihre Ausgrenzung zu setzen. Unsere Gastfamilie hat darauf sehr verhalten und verständnislos reagiert. Wir mussten unseren Besuch bei ihr erklären und fast ein wenig rechtfertigen.

Der Besuch bei Rupali war für mich eine einschneidende Erfahrung und hat auch im Nachhinein noch für Diskussionen bei uns gesorgt. Selbst Shria, die sich selbst ab und an sehr verhalten über die eingeschränkten Rechte der Frauen im Dorf äußert, kann das Verhalten von Rupali gar nicht nachvollziehen und gibt ihr für die verfahrene private Situation allein die Schuld. Diese Abhängigkeit und Ächtung einer jungen Frau vom gesamten sozialen Lebensumfeld zu erleben, ist bedrückend. Sicherlich trägt Rupali mit ihrer ausgeprägten streitbaren Persönlichkeit auch dazu bei. Sie ist damit jedoch in gewisser Weise Vorreiterin der freien und vor allen eindeutigen Meinungsäusserung speziell durch Frauen. Das gibt es bisher gar nicht. Es wird allerdings noch sehr lange dauern, bis sich Traditionen in Bezug auf die Rolle der Frau lockern und sie mehr Freiraum und Mitsprache im Alltag erhalten.

Voll Stolz hat Rupali auf Facebook unseren Besuch gepostet, um ihrerseits ein Zeichen zu setzen. Hoffen wir mal, dass es ihr ansatzweise hilft.

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