1. Advent in Kigali

Die „fünfte Jahreszeit“ hat für mich begonnen. Normalerweise wird unser Häuschen in Berlin nun richtig geschmückt: ein Adventskranz hängt in einer Ecke von der Decke im Wohnzimmer und einer neben der Eingangstür, ein Gesteck steht auf dem Esstisch, Kerzen sind überall und möglichst zahlreich verteilt, winterliche Motive dekorieren die Fensterscheiben, Lichterketten schmücken den Garten, einige Türzargen sind mit Dekomaterial verziert, die Räuchermänner und Nussknacker funktionsbereit aufgestellt, die Erzgebirgische Pyramide mit Kerzen bestückt und fertig für die erste Runde, diverse Krippenfiguren stehen drapiert auf passenden Decken, die historische Seifener Bergparade ist sortiert und in Marschrichtung aufgestellt, kleine Engel, Kugeln und Strohsterne schaukeln an Tannenzweigen in der Bodenvase im Flur und stimmungsvolle Herrenhuther-Sterne leuchten in den Fenstern im Treppenaufgang. Was für ein jährlicher Dekorationsaufwand aber auch welch wunderbare, gemütliche Stimmung man damit zaubern kann.

In Kigali ist alles anders. Die heimatliche Weihnachts-Deko-Ausstattung fehlt, aber da habe ich schnell Abhilfe geschaffen. Schließlich muss man ab und an auch mal über seinen Schatten springen und sich Neuem öffnen. Ein Adventsgesteck habe ich in Ermangelung richtiger Tannenzweige und Steckmasse mit künstlichen Zweigen aber auch mit einigen Naturmaterialien unter Verwendung des abgesägten Holzes von unseren Esstischbeinen selbst gestaltet. Kann man gelten lassen! Allerdings gab es dann doch noch richtige duftende Tannenzweige, da Lotti ein weihnachtliches Plätzchenback-Zutaten-Paket nach Amsterdam geschickt hatte. Thomas war dort vier Tage zu einer Weiterbildung und konnte somit den weiteren
Transport nach Kigali sicherstellen. Diese Zweige habe ich als Strauß in einer Plastikvorratsdose aufgestellt und dekoriert. Gewöhnungsbedürftig, aber kreativ!

Obwohl der „German Christmas Market“ ernüchternd für uns war, haben wir eine weitere Chance genutzt, um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Am Freitag vor dem 1. Advent findet jährlich vor dem Convention Center in Kigali die feierliche „Erleuchtung des Hauptstadt- Weihnachtsbaumes“ statt. Das wollten wir am 30.11. auf keinen Fall verpassen. Daher strömten wir mit zahlreichen Einheimischen und Expats durch den Eingangsbereich des Hauptstadt-Wahrzeichens in eine große geschmückte Eingangshalle. Die Schaulustigen waren alle sehr modern und festlich gekleidet. Jeder hatte sein bestes Kleidungsstück aus dem Schrank geholt oder war noch im Büro-Outfit. Doch auch die Konzert- und Kongresshalle hatte man aufwendig geschmückt. Die Geländer und Säulen im Eingangsbereich waren mit weihnachtlichen Girlanden umwickelt und auch zwei künstliche Weihnachtsbäume waren liebevoll dekoriert und mit Goldschleifen verziert. Ein dicker, kostümierter Weihnachtsmann bespasste die anwesenden Kinder. An einer kleinen Bar wurden Erfrischungsgetränke ausgegeben. Auf dem Vorplatz sang ein kleiner Kinderchor mit roten Zipfelmützen Weihnachtslieder (auch wieder „Stille Nacht, heilige Nacht!“) und zusätzlich hämmerten aus großen Boxen ge-remixte und ge-sampelte amerikanische Weihnachtssongs. Der Hauptstadtweihnachtsbaum stand jedoch noch im Dunklen in der Mitte des Vorplatzes.

Bis zum „Countdown der Erleuchtung“ war noch ein wenig Zeit und so drehten wir auf dem Gelände noch ein paar Runden und schauten dem Treiben zu. Unzählige Fotos vor den Weihnachtsbäumen und den mit weißen Hussen bestückten Stehtischen wurden geschossen, doch was war das…?? Plötzlich gab es ein Getümmel um die beiden Weihnachtsbäume in der Eingangshalle. Sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes geplündert. Kinder wurden von ihren Eltern in
die Höhe gehoben, um die Weihnachtsbaumdekoration auch an der Spitze des Baumes noch abreißen und mitnehmen zu können. Danach wurden Fotos von den Kindern mit deren erbeuteten bunten Weihnachtsbaumkugeln gemacht. Jugendliche spielten Fußball mit den größeren Kugeln, die daraufhin zerbrachen. Wir waren entsetzt! In Sekundenschnelle waren die beiden Weihnachtsbäume KAHL! Und unsere Stimmung auf dem Tiefpunkt. Sprachlosigkeit, Wut und Verständnislosigkeit! Oder hatten wir hier eine Tradition gesehen und diese nur nicht als solche verstanden? Wir fragten Elisabeth, eine Kollegin von Thomas, die mit ihrer Tochter Atte auch gekommen war. Leider bestätigte sie unsere Vermutung der „Baumplünderung“ nur mit einem Lächeln. Es schien niemanden zu interessieren, was sich da gerade abspielte. Selbst die Sicherheitsleute vom Convention Center schritten nicht ein und verzogen keine Miene.

Wir warteten dann noch auf die „Baum-Erleuchtung“, gingen nach nur wenigen Minuten jedoch wieder zurück zum Auto und fuhren nach Hause. Unter diesen
Umständen kam für uns einfach keine Adventsstimmung auf. Es war zwar alles festlich erleuchtet und tat dem Gesamteindruck keinen Abbruch, aber für uns gehört schon mehr zur Advents- und Weihnachtszeit als oberflächliches Geglitzer.

Wenigstens einen richtig großen natürlichen Weihnachtsstern haben wir in unserem Garten. Er erinnert mich daran, wie viel Liebe zum Detail und welchen zeitlichen Aufwand meine Mutsch in die Weihnachtsdekoration und in die -vorbereitungen investiert, um mit zahlreichen kleinen Weihnachtssternen in der Wohnung und all dem anderen Deko-Zauber die für uns so wichtige Atmosphäre zu schaffen. Wir freuen uns auf´s NACHHAUSEKOMMEN!

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